Klare und konsistente Finanzinformationen: praktisches Bedürfnis und wissenschaftliche Erkenntnis
TOP-THEMA im September 2015:
Klare und konsistente Finanzinformationen: praktisches Bedürfnis und wissenschaftliche Erkenntnis (von Prof. Dr. Henning Zülch und Johannes Hottmann)
An den Finanzmärkten bergen Kapitalanlagen ihre jeweiligen Chancen und Risiken. Deshalb kommen Kapitalanleger nicht umhin, die ihnen zur Verfügung stehenden Finanzinformationen gründlich zu analysieren. Eine Ausnahme stellen in diesem Zusammenhang die sogenannten Day Trader dar, die sich vornehmlich auf ihre technischen Analysen verlassen. Doch das Gros der Investoren – und hier speziell die institutionellen Investoren – schätzen den intrinsischen Wert von Finanzinstrumenten, wie Aktien und Anleihen, in der Regel auf Basis der Ihnen zur Verfügung stehenden Finanzinformationen. Der intrinsische Wert stellt dabei konkret den Wert eines Unternehmens oder Wertpapiers dar, der diesem aufgrund objektiver Bewertungsmaßstäbe beigemessen wird.
Tatsächlich erfüllen Finanzinformationen zwei wichtige Funktionen an den Finanzmärkten (wie generell auch in der Marktwirtschaft): Einerseits erlauben Finanzinformationen Investoren, das Renditepotenzial verschiedener Kapitalanlagen zu schätzen. Diese Funktion wird als die Ex-ante- oder Bewertungsfunktion bezeichnet. Andererseits können Kapitalgeber mit den Informationen die Verwendung ihres Kapitals überwachen. Diese Funktion stellt wiederum die Ex-post- oder Monitoringfunktion der Finanzinformationen dar (vgl. BEYER et al. [2012]).
Beiden Funktionen wohnen jeweils das berühmte Akerlof’sche Zitronen- und das nicht minder bekannte Prinzipal-Agenten-Problem inne. Bei der Bewertungsfunktion besteht zwischen den Investoren und der Unternehmensleitung grundsätzlich eine Informationsasymmetrie. Die Unternehmensleitung verfügt – schlichtweg aus ihrer Tätigkeit heraus – über Insiderinformationen, die sie ihren Investoren aus Eigeninteresse möglicherweise vorenthalten kann. So geriet in den letzten Monaten z. B. der japanische Technologiekonzern Toshiba in die Schlagzeilen, nachdem bekannt wurde, dass die Gewinne der vergangenen sieben Jahre beabsichtigt um kumuliert 152 Mrd. Yen (1,1 Mrd. Euro) zu hoch ausgewiesen wurden. Toshibas CEO sowie acht weitere Mitglieder der Unternehmensführung sind im Zuge dieses Bilanzskandals von ihren Posten zurückgetreten (vgl. FAZ [2015]). Verglichen zum Jahresbeginn notierte die Toshiba-Aktie Anfang August 2015 entsprechend um ein Viertel tiefer. Diese Informationsasymmetrie zwischen Investoren und Unternehmensführung führt wiederum dazu, dass Investoren dazu neigen, hochprofitable Unternehmen zu niedrig und unprofitable Unternehmen zu hoch zu bewerten (vgl. AKERLOF [1970]). Entsprechend hat die Unternehmensführung von hochprofitablen Unternehmen einen Anreiz, zusätzliche, d.h. über das vorgeschriebene Mindestmaß hinausgehende Informationen zu veröffentlichen. Diese theoretische Voraussage wurde ebenso empirisch nachgewiesen (vgl. SINGHVI/DESAI [1971], OYELERE et al. [2003], MARSTON/POLEI [2004]).
Des Weiteren ermöglichen es Finanzinformationen den Investoren, die Aktivitäten der Unternehmensführung zu überwachen (monitoring). Die Relevanz der Monitoring-Funktion bzw. die Ex-post-Nachfrage nach Informationen rührt von der Trennung von Eigentum und Unternehmensführung her. Investoren haben bekanntlich nicht die vollen Entscheidungsbefugnisse über die Aktivitäten eines nicht-inhabergeführten Unternehmens. Entsprechend nutzen Investoren (Prinzipal) die Finanzinformationen für die Ausgestaltung und Überwachung ihrer expliziten wie auch impliziten Verträge, die sie mit der Unternehmensführung (Agent) geschlossen haben. Und auch hier zeigt die Empirie: Je glaubwürdiger die Finanzinformationen, desto weniger riskant schätzen Investoren eine Kapitalanlage ein (vgl. SCHWARZKOPF [2006]). Somit zeigen schon einfache Modelle, wie entscheidend die Existenz von und der Zugang zu klaren und glaubwürdigen Finanzinformationen sind.
Auch in der Praxis wurde bereits relativ früh von prominenter Stelle nach verständlichen und konsistenten Finanzinformationen verlangt. Der Rechnungslegungsforscher und -kritiker Abraham Briloff kritisierte in den 1960er Jahren in einer regelmäßigen und gefürchteten Magazinkolumne einzelne Unternehmen für deren unklaren, teils fragwürdigen Finanzinformationen. Auch veröffentlichte er im Jahr 1967 eine entsprechende Monografie mit dem bezeichnenden Titel The Effectiveness of Accounting Communication (vgl. BRILOFF [1967]). Auch verfolgen die beiden wichtigsten Standardsetzer in der Rechnungslegungsregulierung – das FASB und das IASB – seit jeher das Ziel, dass Finanzinformationen für Investoren entscheidungsnützlich und verständlich sein und dass die Informationen die Schätzung künftiger Cashflows eines Unternehmens ermöglichen sollen (vgl. FASB [2012] und IASC [1989]). Zusammengefasst deuten die zuvor beschriebenen theoretischen Modelle, praktischen Forderungen und regulatorischen Zielsetzungen jeweils darauf hin, dass dem Bedürfnis der Investoren nach klaren, glaubwürdigen und konsistenten Finanzinformationen nachzukommen ist.
In der Tat hat die empirische Forschung dargelegt, dass es für Unternehmen tendenziell von Vorteil ist, dieses Bedürfnis zu erfüllen. So belegt die Forschung, dass eine hohe Qualität der Finanzinformationen und der Finanzkommunikation positiv mit Marktliquidität (vgl. u.a. DIAMOND/VERRECCHIA [1991], WELKER [1995]; HEALY et al. [1999]), institutioneller Beteiligung (wie Investmentfonds) (vgl. u.a. HEALY et al. [1999]; BUSHEE/NOE [2000]) sowie besseren Analystenschätzungen (vgl. u.a. BARRON et al. [1998]; LANG/LUNDHOLM [1996]; HOPE [2003]) korreliert. Gleichzeitig besteht ein negativer Zusammenhang zwischen ebenjener hohen Qualität der Finanzinformationen und Kapitalkosten (vgl. u.a. LEUZ/VERRECCHIA [2000]; EASLEY/O’HARA [2004]) sowie auch Agency-Kosten (vgl. u.a. BERGER/HANN [2007]; HOPE/THOMAS [2008]).
Abgesehen von diesen eindeutigen Vorteilen war indes lange Zeit empirisch nicht geklärt, ob speziell Kleinanleger tatsächlich von verständlicheren und konsistenteren Informationen profitieren. Schließlich haben im Gegensatz zum typischen Kleinanleger institutionelle Anleger das Privileg, an Analystenkonferenzen oder sogenannten one-on-one-Meetings teilzunehmen und Finanzinformationen mit Unternehmensvertretern zu diskutieren. Diese Frage hat schließlich Alistair Lawrence von der University of California in Berkeley mit seinem Artikel Individual investors and financial disclosure beantwortet (vgl. LAWRENCE [2013]). In seinem Artikel zeigt er, dass Kleinanleger größere Summen in diejenigen Unternehmen investieren, die klare und konsistente Finanzinformationen veröffentlichen. Dieser Zusammenhang wird zwar schwächer, je kompetenter und/oder spekulativer der Kleinanleger ist, nichtsdestotrotz bleibt der Zusammenhang statistisch signifikant. Weiterhin wird auch gezeigt, dass die Renditen der Kleinanleger mit klareren und konsistenteren Informationen zunehmen. Das liegt daran, dass entsprechend Informationsasymmetrien minimiert werden. Zusammenfassend bedeutet dies, dass klare Finanzinformationen Kleinanlegern nützen, vor allem denjenigen mit einer Buy-and-Hold Strategie. Interessant sind wiederum auch die Umkehrschlüsse: Je undurchsichtiger die Finanzinformationen eines Unternehmens, desto riskanter die Anlage in den Augen der Kleinanleger. Entsprechend ist die Nachfrage nach solchen Aktien – wie zuvor schon erwähnt – generell geringer (vgl. DIAMOND/VERRECCHIA [1991], EASLEY/O’HARA [2004]).
Wie dieser Beitrag hoffentlich trotz aller Kürze gezeigt hat, erschaffen sich kapitalmarktorientierte Unternehmen Vorteile, wenn sie klare und konsistente Finanzinformationen veröffentlichen. Auf diese Weise werden Informationsasymmetrien abgebaut, mehr Anleger investieren und die Kapitalkosten des betrachteten Unternehmens sinken nachweislich.
SCHRIFTTUM
AKERLOF, G. A. (1970): The market for ‘lemons’: quality uncertainty and the market mechanism. The Quarterly Journal of Economics 84, 488-500.
BARRON, O./KIM, O./LIM, S./STEVENS, D. (1998): Using analysts’ forecasts to measure properties of analysts’ information environment. The Accounting Review 73, 421-433.
BERGER, P./HANN, R. (2007): Segment profitability and the proprietary and agency costs of disclosures. The Accounting Review 82, 869-902.
BEYER, A./COHEN, D. A./LYS, T. Z./WALTHER, B. R. (2010): The financial reporting environment: Review of the recent literature. Journal of Accounting and Economics 50, 296-343.
BRILOFF, A. (1967): The Effectiveness of Accounting Communication. Praeger, NewYork, NY.
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FAZ (2005): Toshiba-Chef tritt nach Bilanzskandal zurück, Frankfurter Allgemeine Zeitung (abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/toshiba-bilanzskandal-chef-hisao-tanaka-tritt-zurueck-13713442.html)
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IASC (International Accounting Standards Committee, 1989): Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements. IASC, London.
LANG, M./LUNDHOLM, R. (1996): Corporate disclosure policy and analyst behavior. The Accounting Review 71, 467-492.
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MARSTON, C./POLEI, A. (2004): Corporate reporting on the internet by German companies. International Journal of Accounting Information Systems 5, 285-311.
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SCHWARZKOPF, D. L. (2006): Investors‘ attitudes toward source credibility. Managerial Auditing Journal 22, 18-33.
SINGHVI, S. S./DESAI, H. B. (1971): An empirical analysis of the quality of the corporate financial disclosure. The Accounting Review 46, 120-138.
WELKER, M. (1995): Disclosure policy, information asymmetry, and liquidity in equity markets. Contemporary Accounting Research 11, 801-827.
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